TRAVIANECKEN 2017
Aventurien liegt direkt vor der Schwertküste
Ein Werkstattbericht von Hershel Baumstam
Zu meiner Person: Als langjähriges Mitglied der nordamerikanischen FRFR (Forgotten-Realms-Fan-Confederation) und Chairman des Deutsch-Amerikanischen-DnD-Spieler-Chapters beobachte ich die deutsche DSA-Szene seit Jahren und spiele auch die vierte und fünfte Edition gemeinsam mit amerikanischen Rollenspielern. Mehrere Artikel zu den Schnittpunkten und Abweichungen zwischen europäischen und amerikanischen Spielern von mir im Lich-King-Magazine wurden mit großem Interesse gelesen und auch die in der Szene durchaus verfolgte Ankündigung zu The Dark Eye habe ich immer wieder begleitet. Dennoch war ich überrascht, bei der offiziellen „Dungeon Developers Conference“ vom 4. bis 5. März in Flint/Michigan als Vertreter der deutschsprachigen Rollenspiel-Community eingeladen zu werden, um an einer Konferenz zur Lokalisierung des Schwarzen Auges in den US-Markt teilzunehmen. Dort sollte es um die zukünftigen Synergieeffekte gehen, die aus einer Verschmelzung beider Rollenspielwelten für den amerikanischen und deutschen Markt entstehen könnten. Für Nandurion habe ich die bereits sehr weit gediegenen Ergebnisse der Konferenz zusammengefasst.
Der Konferenzraum ist bereits um 9.30 Uhr gut gefüllt, beinahe ironisch trifft sich das Wizards-Developer-Team im Trump-Hotel Flint/Michigan. Aus den ganzen USA sind Vertreter der deutsch-amerikanischen Rollenspielszene angereist, um mit den Machern des Verlages über die künftige Verschmelzung von DnD und DSA zu diskutieren und Lokalisierungsfragen zu klären. Der Geruch von Cheddar-Bagels und frisch gebrühtem Kaffee füllt den Raum, auf dem schwarz lackierten Konferenztisch liegt eine große Karte im europäischen Format („Wow – it’s huge!“), frisch aus einem hier völlig unbekannten Ort namens „Waldems“ eingetroffen. Sie zeigt die Umrisse eines für die meisten Amerikaner im Raum nie gesehenen Kontinents: Aventuria. Während draußen die Skyline von Flint erwacht, drängen sich die Developer und die Supporter um die neue Welt. „Are we gonna conquer the Krauts once more?“, scherzt einer mit einem „Ravenloft“-T-Shirt und einem Sixpack Mountain Dew unterm Arm. Die Stimmung ist gelöst.
… 24 Stunden später …
Sonntag Abend, die Sonne versinkt und wirft rotes Licht durch die verspiegelten Scheiben des Trump-Hotels. Die Konferenzteilnehmer wirken müde, aber glücklich. Das Projekt wird größer als gedacht, aber die Eckpfeiler sind gesetzt und abgesegnet. Mathew, der Ravenloft-Experte mit dem Sixpack, der nun ein „World-of-Warcraft“-T-Shirt trägt, reckt die Faust zum Abschied in die Luft und jubelt: „Reichsforst will be a Part of the Swordcoast soon! Yeah!“ Dann schreibt Rebecca noch schnell eine Pressemitteilung zu den Lokalisierungsplänen für dnd.wizards.com. Demnächst wird es offiziell: Aventurien wird ein Teil der Dungeons and Dragons Welt werden.
Die Ergebnisse der DDC zu DSA im Einzelnen:
1. Dark Eye and Dungons 5.0
The Dark Eye wird unter DnD5-Lizenz in den USA erscheinen: Allgemeine Einigkeit herrschte beim Potential der Welt und den Möglichkeiten der „ongoing history“ von DSA. Die deutschen Regeln hingegen wurden als für den amerikanischen Markt nicht geeignet eingeschätzt. Vor allem die 3W20-Probe wird von den anwesenden Satistikern als völlig unberechenbar bezeichnet. Darüber hinaus klänge der Ausdruck „3D20“ zu sehr nach Gaming-Industrie. Nachdem ja bereits mit Ulisses schon vor einiger Zeit übereinkam, dass die englische Übersetzung der 5. Edition eingestellt wird und nur noch die bereits fast fertiggestellten Bücher auf Englisch veröffentlicht werden (Nandurion berichtete), fällt einmütig die Entscheidung: Aventurien wird in den USA mit der 5. Edition der DnD-Regeln veröffentlicht werden und damit offizieller Lizenznehmer. Ohnehin seien ja die Regeln – egal welcher Edition – seit über 10 Jahren selbst in der Deutschen Community höchst umstritten. Das Design-Prinzip für den Launch von The Dark Eye in den USA lautet also: Möglichst Deutscher Touch mit DnD-Regeln, was nach Marktanalysen den höchsten Kaufanreiz für die Zielgruppe darstellt. Da Ulisses bereits Erfahrungen mit der DnD-Lizenz hat, sollte auf beiden Seiten das nötige Know-How vorhanden sein, um erfolgreiche Lizenzentwicklung betreiben zu können.
2. The Game in the Game
Als nächster Schritt der aventurischen Geschichte werden bekannte DnD-Welten nach und nach zu Globulen und Dimensionstoren, die über ganz Aventurien verstreut sind. Einleitender Plot-Hook sind die „Falling Stars“ der jüngsten Geschichtsschreibung, die Weltentore aufreißen werden. Mit diesem Story-Design werden DnD-Charaktere und DSA-Charaktere frei zwischen den Welten wechseln können. Mit Begeisterung wurde die massive Erweiterung des Universums Aventurien von allen Konferenzteilnehmern begrüßt. Man wird aber nicht DnD-Charaktere mit DSA-Regeln spielen können, deutsche Spieler müssen also für einen Besuch in Faerun oder Planescape auf DnD-Regeln umsteigen. Fankonvertierungen sollen aber unter bestimmten rechtlichen Vertragsbedingungen erlaubt werden.
3. Dungeons and Dragons ist nicht Dicks and Tits
Brüste und nackte Hinterteile soll es in der US-Version, wie von Anfang an geplant, nicht mehr geben. Ohnehin war das offenherzige Design für manchen US-Spieler am Konferenztisch eine große Überraschung. Die Nichtverletzung kultureller Tabus wird in den USA seit jeher groß geschrieben. Daher werden, auch aus Layout-Gründen und zur Kostenersparnis, in kommenden deutschen DSA-Publikationen keine Nippel oder Hinterteile mehr abgebildet sein. Das Rahjasutra (von dem wir nur Screenshots zeigen durften) wird international vom Markt genommen, da es nach US-Recht als Pornografie gilt, und damit in den meisten Bundesstaaten nur in speziellen Adult-Bookstores verkauft werden könnte. Dafür wünschen sich viele Teilnehmer der Konferenz mehr explizite Gewalt auf Covern und Illustrationen.
4. Optional Content mit Pay-per-roll-Model
Das waldemser Konzept der Kern- und Optionalinhalte wird ausgebaut und mit den bekannten DnD-Modulen harmonisiert. Optionale „Mikro-Inhalte“ sollen, ähnlich wie Mikro-Transaktionen in Videospielen, jederzeit zur The-Dark-Eye-Experience dazu gebucht werden können. Erstes Modul wird eine Regel- und Szenario-Serie sein, in der Kender sich nachts in der Westküsten-Metropole Havena mit zweibeinigen Katzen blutige Duelle liefern. Tagsüber sind die Kender unsichtbar. Gerade Havena kam als Handlungsort bei der amerikanischen Seite sehr gut an („It’s like Insmouth and Black-Death-Venice combined“).
5. Havena als Testballon
Beim Stichwort „Havena“ ließen dann die Offiziellen bereits die erste Insider-Bombe platzen: Still und heimlich hatte man bereits die Machbarkeit von Cross-Content-Publikationen ausgelotet und das fast fertige Ravenloft-Abenteuer The Terror of Barovia an den deutschen Autor Sebastian Thurau ausgelagert, um daraus ein DSA-Modul erstellen zu lassen. Der erfolgreiche DnD-Import sei unter dem Namen Der Vampir von Havena bereits von vielen deutschen Rollenspielern mit großem Erfolg gespielt worden, was ein Hauptauslöser für das kommende Crossover-Redesign sei. Ravenloft wird darüber hinaus die erste Globulenvermischung zwischen DnD und DSA im albernischen Bereich werden, weitere (sog. „DnD-Plugins“) sollen folgen.
Fazit
Insgesamt wurde die Developer-Konferenz als deutlich fortgeschrittener Startschuss in die Zukunft beider Systeme gefeiert, dem nun die schnelle Umsetzung folgen soll. Ein hochkarätiges Entwicklerteam wird also nun mit der konkreten Arbeit beginnen. Neben altgedienten DSA-Autoren wurde angekündigt, dass diverse hochkarätige Entwickler aus der US-Szene gewonnen wurden. Man wollte nicht zu viel enthüllen, gab aber bekannt, dass viele führende Rollenspiel-Designer von Blizzard Entertainement im Team seien. So könne man verraten, dass das Team hinter dem Quest-Design von World of Warcraft an The Dark Eye arbeiten werden und auch der Hauptverantwortliche für das Loot-System in Diablo III sei bereits mit im Boot. Aufgabe der Deutschen Seite sei es hingegen, auf eine möglichst breite Erhaltung des „Germanic Flairs“ von DSA hin zu arbeiten.
Nach einem arbeitssamen Wochenende trennte man sich vorerst in der Lobby des Trump-Hotels, übernächtigt, voll Ideenreichtum, aber sehr zuversichtlich und glücklich, ein erfolgreiches neues Projekt für den US-Rollenspielsektor in der Pipeline zu haben. Mathew winkt mir am Taxi noch einmal gut gelaunt zu. „This is gonna be great!“ ruft er, als er sich in das Cab hieft.
Ich glaube, Matthew wird Recht behalten.
Nandurion dankt Hershel für seinen ausführlichen Bericht, den er uns auf Deutsch zur Verfügung gestellt hat, und für die Insider-Infos aus erster Hand!